Ja, auch im Winter kann man hervorragend essbare Pilze sammeln.
Jeder Pilz hat seinen eigenen Wachstumszyklus und wartet auf bestimmte klimatische Bedingungen, die ihm signalisieren, dass die Wachstumsperiode seiner Fruchtkörper beginnt. Bei den Winterpilzen sind Temperaturen am Gefrierpunkt der Trigger, Fruchtkörper auszubilden. Der eigentliche Pilz lebt als sogenanntes Myzel in der Erde oder in einem anderen Substrat und wartet im Grunde darauf, seine Sporen in der für ihn günstigsten Zeit ausbringen zu können. Dazu drückt er seine Früchte an die Oberfläche – eben jene Pilze, die wir sammeln.
Die Vielfalt im Reich der Winterpilze ist bei weitem nicht so ausgeprägt, wie im Herbst. Dennoch lohnt es sich, auf die Suche zu gehen. Denn gerade jene Pilze, die es gerne kalt und frostig mögen, gehören zum Besten, was die Pilzwelt kulinarisch auffährt. Ich will euch hier drei meiner absoluten Lieblinge vorstellen, die ihr allesamt ab November in deutschen Wäldern finden könnt. Gerade für Pilz-Einsteiger kann das eine dankbare Zeit sein, denn mit nur drei Pilzen im Visier, hat man es deutlich leichter als im Herbst, wenn Dutzende essbare Pilze und noch mehr ungenießbare Exemplare den Wald bevölkern.
das Judasohr
Das Judasohr
Es lohnt sich, im Winter die Augen nach diesem einzigartigen Pilz offen zu halten. Denn:
- Das Judasohr wächst fast ausschließlich an alten und verletzten Holunderbüschen bzw. an abgestorbenen und am Boden liegenden Ästen eines Holunders. Selten findet man es auch an Pappeln und Weiden.
- Seine Optik erinnert tatsächlich an ein violettes zerknautschtes Ohr und birgt dadurch in der Pilzwelt kaum Verwechslungsgefahr.
- Sein Geschmack ist relativ mild, doch die Textur ist auch nach dem Braten sehr besonders: Leicht knackig, etwas gallertartig und mit festen, angenemem Biss.
Das Judasohr hat – wie der Samtfußrübling – auch in der chinesischen Heilküche seinen festen Platz. Dort ist es als Mu-Err-Pilz bekannt. Ein Begriff, den man immer wieder auf chinesischen Speisekarten sieht.
Der Austernseitling
Der Austernseitling
Der König der Winterpilze. Es ist daher kein Wunder, dass er zum Standard-Pilzsortiment jedes Supermarkts gehört. Das liegt aber auch daran, dass man den Austernpilz hervorragend züchten kann. Austernseitlinge haben wir uns als Pilzliebhaber als Myzel gekauft und damit Stämme geimpft oder auf Sägespäne aufgebracht. Das hat kurzzeitig gut funktioniert aber dauerhaft keinen Ertrag gebracht.
Also nichts wie raus in die Natur und auf freier Wildbahn den Austernseitling suchen gehen. Dieser schmeckt nämlich um Welten intensiver als ein Zuchtpilz.
Austernseitlinge findet man ab November an alten Laubbaumstämmen. Manchmal sogar zwischen aufgestapelten Stämmen. Hier ist aber Vorsicht geboten und das Beklettern dieser Stapel ein absolutes No-Go.
Die Pilze übernehmen erst bei toten Bäumen ihre Arbeit als Destruenten und mit etwas Glück besiedelt auch ein Austernseitlings-Myzel den Baum. Gegen das Sammeln eines echten wilden Austernseitlings spricht aber gar nichts, sondern vieles dafür. Ihr sichert euch so eine absolute Delikatesse des Winterwaldes.
gemeiner Samtfußrübling
Der Samtfußrübling
Den Samtfußrübling (Flammulina velutipes) kennen die meisten. Er wird als Enoki-Pilz in vielen asiatischen Supermärkten verkauft. Der Samtfußrübling ist in China ein extrem beliebter Zuchtpilz und schon lange Teil chinesischer Heilmethoden. Daher findet man ihn in vielen Gerichten.
In der Wildnis entwickelt er eine leuchtend orange Farbe. Sein Geschmack ist mild pilzig, leicht süßlich und erinnert angenehm an ein weichgekochtes Ei.
Der gemeine Samtfußrübling macht seinem Namen alle Ehre. Er ist von November bis März an Baumstümpfen, Stämmen und Ästen von Laubholz zu finden.
der Austernseitling
Essbare Winterpilze suchen im erstarrten Wald, womöglich im Schnee, ist etwas Besonderes. Pilzgänge in der dunklen Jahreszeit haben zu tun mit Distanz, mit Ruhe und Einkehr.
Pilze im Winter zu suchen, ist hingebungsvoller als im Frühling, Sommer und Herbst. Sie führen erlebnisnah vor Augen, wie hart der Überlebenskampf für unsere Vorfahren gewesen sein muss.
Praktisch gesehen sind sie rar. Es gibt nur eine Handvoll essbarer Winterpilz-Arten, und wenn man sie findet, dann eher in begrenztem Angebot. Auf eine üppige Kolonie von Austernseitlingen zu stoßen ist nicht der Alltag. Wir sollten den Wert von Winterpilzen eher daran bemessen, dass es sie überhaupt gibt.
Um so größer ist der kulinarische Genuss dieser Winterpilze. Mit Achtsamkeit zubereitet, sind sie ein Fest für alle Sinne.